Mal so, mal so

Traum oder Albtraum? Erfolg oder Pleite? Chance oder Risiko?
Wie ist China wirklich? Und wie erleben Deutsche das Wirtschaftswunder vor Ort?




Geduld und kleine Schritte

Dr. Benno Freiherr von Canstein, 50, General Manager der Allianz Dazhong Life Insurance Co., Ltd, lebt seit Januar 1997 in Schanghai.

„An meinem ersten Abend hier schaute ich von der Uferpromenade am ‚Bund‘ über den Fluss, da war der Fernsehturm fertig und ein Hochhaus. Damals, in meiner Anfangszeit, habe ich oft Fotos gemacht, ich wollte die Entwicklung festhalten. Das habe ich bald gelassen. Es geht zu schnell. Was hier passiert, muss man persönlich erleben.

Nichts ist mehr, wie es damals war. China ist wild, bunt und aufregend. Heute schaue ich auf einen Wald aus Hochhäusern, und der Strom von Ausländern reißt nicht ab. Es kommen jetzt vermehrt auch sehr viel jüngere Leute, Studenten, Praktikanten und Berufsanfänger, aber natürlich auch ältere – alle in Goldgräberstimmung angesichts des vermeintlichen Eldorados. Dieser China-Hype ist schwierig, denn wo viel Licht ist, werden natürlich auch viele Motten angezogen.

Erstaunlich finde ich, dass immer noch so viele kommen, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Sie informieren sich nicht genügend über den Markt, haben zu wenig Geld, keinen langen Atem und nicht einmal ein Worst-Case-Szenario. Viele Unternehmer verlassen sich völlig blauäugig auf irgendwelche Zusagen. Die Leute scheinen sich von der Masse der Baukräne oder der Autos auf den Straßen blenden zu lassen. Obwohl es hier durchaus gute Berater und genügend Anlaufstellen gibt. Es nützt nichts. In Deutschland, so scheint es, grassiert ein Fieber: Was, du bist noch nicht in China? Und es stimmt ja auch: Es gibt hier Chancen, große Chancen, das bedeutet aber nicht, dass man die Grundregeln des Business außer Kraft gesetzt hat. Die zehn Gebote eines ordentlichen Kaufmanns gelten auch hier.

Meine wichtigste Erfahrung? Geduld. Ich habe gelernt zu warten. Manches mehrfach zu wiederholen. Nichts für sicher zu halten. Und besser zuzuhören. Viele wichtige Dinge werden nur beiläufig, in einem Nebensatz gesagt. Immer kommt es auf die Zwischentöne an, und die hört man als Ausländer lange nicht. Schon die Abstufungen für eine Zustimmung sind ein Thema für sich. Manche Chinesen nicken vor sich hin, andere sagen ‚dui‘, das bedeutet so viel wie ‚Ja, ich habe verstanden‘; ‚keyi‘ bedeutet: ‚Ja, das könnten wir machen.‘ Aber eine Zustimmung ist all das noch nicht. Erst ‚tong yi‘ kommt einem wirklichen Ja, einem Commitment gleich.

Wer den Unterschied nicht kennt, fliegt nach dem Gespräch euphorisch nach Hause und schreit Hurra, weil das Joint Venture scheinbar unter Dach und Fach ist. Dabei hat der Chinese gerade mal gesagt: ‚Ja, ich habe Sie akustisch verstanden.‘

Geduld braucht man immer und überall. Sie führen mit einem Kollegen endlose Gespräche. Zwei Stunden später stellt er Fragen, bei denen Ihnen klar wird: Da ist nichts, gar nichts hängen geblieben. Es ist einfach eine andere Art der Kommunikation, die übrigens nicht bedeutet, dass die Chinesen langsamer sind.

Ein Deutscher hat dafür mal ein schönes Bild gefunden: Wir wollen ein Ziel erreichen und ziehen auf einem Blatt Papier eine gerade Linie von links unten nach rechts oben. Darauf ackern wir uns stur weiter, Millimeter für Millimeter. Chinesen tänzeln spiralförmig um diese Linie herum. Da geht es manchmal zwei, drei Schritte zurück, dann wieder voran. Und wenn wir auf unserem Weg einmal stecken bleiben, wirbelt der Chinese leichtfüßig drum herum. Das muss man wissen – und sich selbst nicht so ernst nehmen, bereit sein, ein wenig zurückzugehen, um dann mit Schwung am Hindernis vorbeizukommen.

In China macht man viele kleine Schritte, die irgendwann einen Sprung bedeuten. Nehmen Sie unser Geschäft. Zwischen 1959 und 1979 gab es hier zu Lande überhaupt keine Versicherung. Erst danach hat es staatliche Unternehmen gegeben, die erste internationale Gesellschaft kam 1992 nach Schanghai. Das moderne Versicherungswesen hat hier also eine erst etwa zwölfjährige Geschichte, entsprechend gering ist die Anzahl von gut ausgebildeten, erfahrenen Managern – und das Bewusstsein der Menschen, dass sie für ihren Schutz selbst etwas tun müssen.

Das wird sich ändern, und zwar bald. Durch die Ein-Kind-Familie ist die demografische Verschiebung enorm, sie ähnelt stark der deutschen. Vergleichbar ist auch die rasch alternde Bevölkerung: Schanghai ist eine alternde Stadt, der Anteil der über 60-Jährigen liegt bei fast 20 Prozent. Damit sind die Perspektiven für Kranken- und Lebensversicherungen natürlich ausgezeichnet, wenngleich der Markt momentan noch sehr restriktiv reglementiert ist. Aber auch das ändert sich. Ab Dezember 2004, nach drei Jahren WTO-Zugehörigkeit, wird sich der Versicherungsmarkt weiter öffnen. Zurzeit liegt der Marktanteil der ausländischen Versicherungen, aufs gesamte Land gerechnet, bei weniger als zwei Prozent, in Schanghai bei rund zehn Prozent. Wir selbst sind hier bei den Ausländern die Nummer vier, mit einem Marktanteil von etwa einem Prozent. Kleine Schritte, aber stets Wachstum und Fortschritt.

Und gleichzeitig ein Leben auf der Überholspur: Sie müssen immer präsent sein, sind stets und ständig gefordert. Auch an den Wochenenden, denn eine Trennung zwischen Privatleben und Beruf gibt es nicht. Ich habe mal nachgerechnet: Im vergangenen Jahr gab es genau acht Wochenenden, an denen nichts Dienstliches stattfand – eine Hochzeit, gemeinsames Schwimmen, Bowling- oder Karaoke-Abende mit Mitarbeitern und Kunden. Es gab ausländische Banken, die haben ihren Expatriates früher für jedes Jahr in China drei Jahre auf die Rente angerechnet. Das trifft den Kern. Das Leben hier ist wirklich hart. Ich habe aus München ein schönes Wort für das Tempo mitgenommen. Man muss ‚geländegängig‘ sein.

Sie brauchen hier eine Menge Kraft – aber Sie werden auch entschädigt. Gut, den Badestrand am Meer, von dem ich geträumt hatte, als ich Schanghai auf der Landkarte sah, den gibt es immer noch nicht. Aber ich möchte trotzdem keinen einzigen Tag der vergangenen acht Jahre missen. Hier herrscht eine unglaubliche Aufbruchstimmung, die Menschen haben Visionen, sie wagen jeden Tag einen neuen Traum, und sie gehen ihren Weg. Ich bin damals völlig asienblind hierher gekommen, aber ich bin allen dankbar, die mir die Zeit in diesem wunderbaren Land und in dieser faszinierenden Stadt ermöglicht haben.“

Schauen, was geht

Dr. Eva Schwinghammer, 38, Managing Director TRUMPF SiberHegner Ltd., hat sich seit Anfang 1999 regelmäßig in China aufgehalten. Seit zwei Jahren lebt sie in Schanghai.

„Viele Deutsche kommen mit einem falschen Bild an. Die Berichterstattung in der Heimat hat sich zu lange vor allem auf die Chancen hier konzentriert. Und die gibt es ja auch – zuhauf: China öffnet sich. Allein die Größe des Marktes, der enorm wächst, ist beeindruckend. Doch China hat auch seine Schattenseiten, und die prägen nicht selten den beruflichen Alltag.

Zurzeit sind Engpässe ein großes Thema, allen voran der Strom-Engpass. Davon bleibt keiner verschont. Verwunderlich ist, dass viele Firmen hierher kommen, scheinbar ohne sich darüber Gedanken zu machen. Bei jedem anderen Standort würde man sich im Vorfeld die Frage der Produktivität stellen. Bei China ist das anders. Das ist für mich schon ein Phänomen.

Wir haben zum Beispiel heute, Dienstag, erfahren, dass wir morgen nicht produzieren können. Früher wurde der Strom oft kommentarlos abgeschaltet, jetzt kündigen die Behörden es vorher an. Dann können wir zumindest intern reagieren. Die meisten Unternehmen bemühen sich, in der stromfreien Zeit Betriebsferien zu machen. Andere versuchen, auf die Nacht auszuweichen oder aufs Wochenende, um die Produktion nachzuholen – und dafür zwei Tage während der Woche zu schließen. Auf der anderen Seite: Was die Arbeitszeiten angeht, sind wir hier sehr flexibel. Firmen, die in drei Schichten arbeiten, sieben Tage die Woche, haben natürlich keine Chance, den Produktionsausfall wettzumachen.

Um es klar zu sagen: Dieses Land ist großartig. Es bietet Möglichkeiten, die man anderswo kaum kennt. Hier kann man Ideen umsetzen. Und immer hat man die Chance, Neues anzugehen. Aber dafür braucht man Zeit, Gespür, Erfahrung in der fremden Kultur – und das richtige Augenmaß.

Das deutsche China-Bild ist oft geprägt von Klischees: Die Skyline von Pudong, der Transrapid, die Formel-1-Rennstrecke – kurz, die Boomtown Schanghai. Aber gerade Schanghai ist doch das von der politischen Führung bewusst konstruierte Bild vom Fortschritt. Es stimmt ja auch: Die Stadt ist dynamisch und wächst. Aber ich wage zu behaupten, dass es für viele schon heute kaum noch einen Kostenvorteil bringt, in den Küstenregionen Chinas zu produzieren. Es geht eigentlich nur darum, vor Ort zu sein. Schanghai ist teuer, und die angrenzenden Provinzen ziehen in unglaublichem Tempo nach. Die Lohnkosten in der Stadt beispielsweise steigen jährlich um 20 Prozent. Das absolute Lohnniveau ist verglichen mit Deutschland zwar immer noch gering. Aber wenn Sie Ihre Produkte in China absetzen wollen, ist das schon ein Problem.

Die Chinesen sind extrem preisbewusst, wir leben im Land der Plagiate. Eine DVD, die in Deutschland 10 oder 20 Euro kostet, bekommen Sie hier für 80 Cent. Weil sie schwarz kopiert ist. Aber dieser Preis setzt den Maßstab. Unternehmen mit Prestige-Produkten, die von der aufstrebenden Mittelklasse gekauft werden, können noch höhere Preise durchsetzen. Wer die Masse bedient, wird mit den Produktionskosten bald nicht mehr klarkommen. Zumal es schwierig ist, gute Leute zu finden. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der fachlichen und der sprachlichen Expertise. Englischkenntnisse sind eigentlich schon eine zweite Ausbildung. Die meisten Fachleute sprechen nur Chinesisch, und wer beides beherrscht, ist fast unbezahlbar. Ein Fertigungsplaner mit Ingenieurausbildung und Englischkenntnissen beispielsweise kostet im Monat gut 1000 US-Dollar, ohne Lohnnebenkosten. Das wirkt sich letztlich auch auf den Produktpreis aus.

Uns selbst betrifft das Problem zum Glück nicht in dem Maß, weil wir technologisch anspruchsvolle Investitionsgüter anbieten. Wir haben unser Geschäft hier sehr behutsam aufgebaut. Zudem unterhalten wir einen Musterbetrieb, der hochwertige Blechteile und Komponenten auf unseren Maschinen fertigt. Damit laden wir potenzielle Kunden ein, unser Modell zu kopieren, und machen so den Einsatz unserer Maschinen in China attraktiv. Für Chinesen ist es wichtig, das Beste zu haben, den Mercedes unter den Maschinen. Das hilft uns, aber wir spüren den Preisdruck natürlich auch.

Persönlich macht mir der Verlust an Privatsphäre zu schaffen. So etwas wie Vertraulichkeit gibt es hier nicht. Keiner findet es merkwürdig, Unterlagen zu lesen, die nicht für ihn bestimmt sind, oder geheime Informationen zu verwenden. Das gilt insbesondere für den Umgang mit Ausländern. Ich sage immer: Eine Kopie unseres Passes hängt an jeder Litfaß-Säule. Das ist gewöhnungsbedürftig.

Auch die Komplexität von Vorgängen ist etwas, mit dem man sich auseinander setzen muss. In Deutschland stöhnen wir ja oft über den komplizierten gesetzlichen Rahmen, der so manches behindert. Hier muss man – umgekehrt – beim Umgang mit Behörden auf alles gefasst sein. Das hat viele Vorteile, manches gelingt schneller, als man denkt. Die Kehrseite: Vorgänge ändern sich ständig. Was gestern noch galt, kann heute schon wieder ganz anders gehandhabt werden. Man weiß nie konkret, woran man ist. Immer muss man vorsichtig austarieren, die Möglichkeiten abwägen. Veränderungen ergeben sich zudem nicht nur durch den sich schnell wandelnden Wortlaut einer Verordnung, sondern auch durch die handelnden Personen. Je nach dem, wer einen Vorgang gerade bearbeitet, wird ein Verfahren so oder eben anders definiert.

Außerdem ist China keine freie Marktwirtschaft, das heißt: Es gelten in vielen Bereichen nach wie vor extreme Handelshemmnisse. Für alles, was man ein- oder ausführt, ist immer ein langer Papierkrieg zu führen. Das muss man wissen: Effizienz hat hier zu Lande einfach eine andere Bedeutung. Umso wichtiger ist es, mit Chinesen zusammenzuarbeiten.

Beruflich ist es ein ungeheuer spannendes Land. Ein Land der Extreme: Es birgt enorme Chancen – aber auch viele Risiken. Man kann hier noch etwas bewegen, etwas aufbauen – trotz aller Schwierigkeiten. Die Bäume wachsen auch in China nicht in den Himmel, man braucht viel Zeit und Geduld. Aber dann geht auch viel.“

Man muss die Spielregeln beherrschen

Christian Unger, 37, Präsident der Bertelsmann DirectGroup China und Honorarprofessor für internationales Management an der Renmin-Universität in Peking, lebt seit fast drei Jahren in Schanghai.

„Ich bin vor China schon relativ weit herumgekommen in der Welt, ich habe in Europa gearbeitet, in Amerika, in Südamerika, aber ich hatte bis dahin keine Asien-Erfahrung. Als Besucher hat man einen unglaublichen Eindruck von Wachstum und Dynamik. Berauschend. Es ist vermutlich so ähnlich wie bei uns während des Wirtschaftswunders, wo sich alles um Fortschritt und Zukunft drehte. Wer hier lebt, spürt schnell, dass diese Dynamik nicht nur begeisternd ist, sondern manchmal auch ziemlich schrecklich.

Man lebt in einem Umfeld, das nie schläft. Immer geht es nur ums Geschäft; wie man es aufbauen, wie man es besser machen kann. Wachstum ist das Einzige, was die Menschen interessiert, und die Chinesen klopfen einen ständig auf dieses Thema ab. Rund um die Uhr wird man danach bewertet, was man bringt, und ob man auch wirklich im Stande ist, einen Beitrag zu leisten, damit das Land noch schneller vorankommt. Das ist extrem anstrengend.

Vielleicht auch deshalb, weil wir einen sehr spezifischen Markt bedienen. Ein deutsches Unternehmen, das hier Autos oder chemische Produkte produziert, spielt ein ganz anderes Spiel als wir: Es macht einen großen Unterschied, ob man ein eingeführtes Produkt in China für den Weltmarkt produziert oder ob man ein spezifisches Produkt in China für China herstellen will.

Einen chinesischen Autor oder Sänger zu entwickeln ist für uns so schwierig wie für einen chinesischen Verlag. Deshalb sind wir auch ganz anders aufgestellt. Ich bin der einzige Ausländer in der Firma, wir beschäftigen sonst nur Chinesen. Weil die Deutschen keinen Beitrag leisten können. Wir brauchen – neben dem richtigen Riecher – die totale Kenntnis des Marktes, also brauchen wir die besten Leute. Und die bekommt man nur mit einer Kultur, die so attraktiv ist, dass sie die Menschen bindet. Das aber dauert, also fängt man erst einmal klein an. So gesehen sind die neun Jahre, die wir jetzt in China sind, eine kurze Zeit.

Wer in diesem Land erfolgreich agieren will, muss ein Insider werden, aber viele der Unternehmen, die momentan herkommen, blenden die Wirklichkeit schlicht aus. Sie erinnern mich an die Zeit der New Economy, als alle dachten, sie gehen jetzt ins Internet und werden reich. Ich kann nur jedem raten, sich zu Hause erst einmal richtig aufzustellen. Wer nach China geht, um Probleme in der Heimat zu lösen, hat schon verloren. Und wer meint, er könne hier den Markt aufrollen, indem er sein Sortiment ein wenig anpasst, fällt ebenso auf die Nase. Umgekehrt gilt: Wer es hier schafft – trotz des unglaublichen Preiskampfes und der Geschwindigkeit, mit der sich das Marktumfeld ändert – der findet sich wahrscheinlich auf jedem Markt der Welt zurecht. China kann enorme Chancen bieten. Aber nur für ein gesundes Unternehmen mit einem langen Atem.

Der Markt ist mindestens so heterogen wie in Europa. Wir haben moderne Städte mit Millionen Einwohnern und Regionen, in denen es aussieht wie in armen Landstrichen bei uns im frühen Mittelalter. Das Gefälle ist unvorstellbar, das fängt bei der Sprache an und endet bei den Einkommensunterschieden. Eine Firma, die in Peking oder Schanghai erfolgreich ist, hat mit ihrem Angebot in den Provinzen vermutlich keine Chance.

Der chinesische Konsument, wenn man ihn denn verallgemeinern will, ist ohnehin sehr kompliziert. Einerseits ist er sehr marken-affin; kein Wunder in einem Land, das mit neuen Produkten geradezu überschwemmt wird. Marken geben Sicherheit und Orientierung, sie bieten eine gewisse Garantie und helfen auch dem Chinesen, eine Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig sind die Menschen hier extrem preissensibel und extrem produktorientiert. Sie bewerten eigentlich alles aufgrund der technischen Eigenschaften.

Der chinesische Käufer kann von A bis Z herunterbeten, was in einem Produkt steckt. Und er kann alles kopieren und wesentlich leichter und billiger anbieten, als es der ausländische Hersteller kann. Deshalb ist es hier auch so wichtig, in den Markenwert zu investieren. Für den chinesischen Markt ist es von entscheidender Bedeutung, seine Marke emotional stark aufzuladen. Das kann einen Vorsprung sichern, aber wer weiß, wie lange?

Wir konzentrieren uns hier vor allem auf das Buchgeschäft. Musik ist aufgrund des Schwarzmarktes nicht interessant. Als ich vor drei Jahren kam, war deutsche Literatur der Renner, danach wurden uns Informations- und Nachschlagewerke aus der Hand gerissen: der MBA-Guide für Amerika, Wie schaffe ich den Toefl-Test am besten?, solche Sachen. Zurzeit sind Comics für Erwachsene angesagt, zudem verkaufen wir die Top-Seller aus den USA oder Europa. Unser Spitzentitel ist ‚The da Vinci Code‘ von Dan Brown, in Deutschland heißt das Buch ‚Das Sakrileg‘. Das haben wir gegen meinen Willen gebracht, ich war sicher, dass der Titel nicht funktionieren kann. Um das Buch zu verstehen, muss man eigentlich die katholische Kirche ein wenig kennen, das Opus Dei, man muss in Paris oder London gewesen sein, um die Inhalte nachzuvollziehen. Ich habe mich geirrt: Wir haben das Buch schon 150.000-mal verkauft, jedes zehnte Club-Mitglied hat es gelesen. Und auch das sagt viel über den chinesischen Konsumenten aus: Viele Käufer recherchieren lange im Internet, sie schauen bei Google nach und versuchen, die Hintergründe zu begreifen. Parallel dazu lesen sie das Buch. So lange, bis sie es verstanden haben.

Das alles wissen wir übrigens von unserer Website, die hier zu Lande Furore macht. Sie ist zur wichtigsten chinesischen Plattform für junge Autoren geworden. Mehr als 5000 Manuskripte werden uns jeden Tag geschickt, die wir in Auszügen online stellen. So können wir nicht nur potenzielle Autoren identifizieren, wir locken gleichzeitig Leser, die einzelne Kapitel online gelesen haben und anschließend das gesamte Buch kaufen. Die Seite ist ein unheimlich praktisches Tool, um Autoren zu finden, Inhalte am Markt zu prüfen, Werbung zu machen und den Konsumenten kennen zu lernen. Das Votum abertausender Kunden schlägt jede Lektorenmeinung und jede Erfahrung, die man vielleicht generieren könnte. Und sie ist für uns zum wichtigsten Instrument geworden.

Verlagsgeschäfte waren in China für Ausländer lange verboten, die einzige Möglichkeit, Fuß zu fassen, waren so genannte Co-Publishing-Konstruktionen: Ein ausländischer Verlag kauft Lizenzen für ein Buch und geht damit zu einem chinesischen Verleger, um es über ihn zu vertreiben. Das Risiko ist hoch: Jeder Verlag bekommt vom Staat pro Jahr nur eine bestimmte Anzahl von Buchnummern zugeteilt, vergleichbar mit unseren ISBN-Nummern. Wird das Buch am Ende nicht genehmigt oder verkauft es sich schlecht, ist eine wichtige Buchnummer verloren.

Die Zahl der Lizenznummern war bislang übrigens an die Zahl der Lektoren gebunden, die ein Verlag beschäftigt, jedem Lektor wurden vier Nummern pro Jahr zugeteilt. Das war so eine Art Zwangsbeschäftigungsmaßnahme für Lektoren, und deshalb konnten wir bislang unsere Bücher auch nur in Kooperation mit Chinesen verlegen. Das wird sich aber noch in diesem Monat ändern. Wir sind das erste Publishing-Joint-Venture in China, das in Zukunft anders vorgehen darf. Wir werden pro Jahr einige hundert Lizenznummern bekommen, unabhängig von der Zahl der Beschäftigten.

Wo wir in fünf Jahren stehen werden? Schwer zu sagen. Wir werden deutlich gewachsen sein, organisch, aber vor allem auch durch Zukäufe oder Beteiligungen, wie wir es in anderen Märkten letztlich auch gemacht haben. Ob ich selbst dann noch hier bin? Ich glaube, in absehbarer Zeit muss der Chef dieses Unternehmens ein Chinese sein. Weil wir die besten Leute nur halten können, wenn sie sehen, dass sie wirklich eine Aufstiegschance haben, und weil die Spielregeln letztlich auch nur von einem Chinesen beherrscht werden können.

Zudem will wohl auch jeder, der aus dem Westen kommt, irgendwann wieder zurück. In Frankreich, Spanien oder Amerika ist es leicht: Da sind Sie irgendwann Teil der Gesellschaft. Für China gilt das nicht. Als Europäer oder Amerikaner werden Sie in China immer ein Fremdkörper bleiben. Ich denke, man muss dann irgendwann einfach wieder zurück.“

Schön und traurig

Dr. Marcus Schütz, 38, Director Change Management bei Shanghai Volkswagen Co. Ltd., lebt seit gut einem Jahr in China.

„Meine wichtigsten Eindrücke?

  1. Dieses Land ist groß. Es hat atemberaubend schöne und tieftraurige Seiten. Um die Menschen und das Geschäft hier zu verstehen, braucht man Zeit, Geduld und Durchsetzungsstärke.
  2. Boomtown Schanghai: Die sozialistische Marktwirtschaft lehrt die Welt das Fürchten. Rohstoffmärkte werden leer gekauft. Preise steigen. Schiffscontainer auf dem Weg nach Westen sind voll, die auf dem Weg nach Osten leer. Neue Hochhäuser schießen wie Pilze aus dem Boden, andere werden abgerissen – manchmal sogar gleichzeitig. Die Straßen sind voller Autos. Eine Smogglocke liegt über der Stadt.
  3. Ich habe zu wenig Chinesisch gelernt. Aber ich habe verstanden, dass diese Sprache kaum eine Grammatik hat. Dennoch stehen die Schriftzeichen in einem komplizierten Netz von Regeln zueinander und entfalten erst so ihren vollen Inhalt auf allen Ebenen. Aber ein logisches Regelwerk scheint es nicht zu geben. Man entscheidet anhand von Einzelfällen. So wird auch gedacht: nicht logisch, aber hoch flexibel – Fall für Fall.
  4. Chinesische Manager denken aus unserer Sicht kompliziert und außerhalb unserer Business-Logik. Das liegt vor allem daran, dass sie die Sach- und die Beziehungsebene sehr viel stärker miteinander vermischen als wir. Wenn hier jemand seine Entscheidung mit der Weisheit aus 5000 Jahren chinesischer Kultur und ganzheitlicher Weltsicht begründet, dann liegt übrigens die Vermutung nahe, dass er einfach (schon wieder!) nicht verstanden hat, worum es geht.
  5. ‚Geld kostet nichts.‘ Nirgendwo auf der Welt wird in diesem Maßstab so verschwenderisch mit Kapital umgegangen. Und das in einer so ineffizienten und intransparenten Wirtschaft. Die Kapitalrenditen sind entsprechend katastrophal.
    Gerade die ausländischen Investoren erinnern mich manchmal an die Investment Banker der neunziger Jahre, die jeden, der das Wort E-Commerce buchstabieren konnte, mit Geld begraben haben. Auch in China werden viele sehr viel Geld verlieren. Das Geschäft in China findet auf der Straße statt, denn die Chinesen sind ein Volk von Händlern.
  6. Etwa ein Drittel der Chinesen ist selbstzentriert und kennt außerhalb der Familie keinen Gemeinsinn. Für das deutsche Wort ‚Rücksicht‘ gibt es keine chinesische Übersetzung. So kann man auch im dichten Gedränge und bei tosendem Lärm für sich allein sein.
    Was ich noch lernen muss, ist, dabei sogar noch tief und fest einzuschlafen. Der persönliche Einsatz für die Gesellschaft ist hier nur die Rolle in einem Schauspiel.“

Den Weg der Tradition gehen

Stefan Geiger, 34, Geschäftsführer des Chinaforum Bayern e.V. in München, hat in China studiert und das Land danach für verschiedene Projekte bereist.

„Vor zehn Jahren konnte man noch leichter von ‚den Chinesen‘ sprechen – in Anführungszeichen natürlich. Wenn ich China-Neulinge beraten wollte, konnte ich sagen: Die Chinesen sind so und so. Das geht heute nicht mehr, in den vergangenen zehn Jahren hat sich die chinesische Gesellschaft extrem gewandelt. Deshalb gelten auch die Klassiker, die in allen interkulturellen Trainings vermittelt werden, nicht mehr hundertprozentig. Es gibt immer mehr Chinesen, die im Ausland studiert und sich den westlichen Business-Sitten angepasst haben.

Mein Rat an Geschäftsleute, die vorhaben nach China zu gehen, heißt trotzdem: Geht lieber den traditionellen chinesischen Weg, dann macht ihr nichts falsch. Und auch wenn euch der dynamische junge chinesische Geschäftsmann die Visitenkarte auf den Tisch wirft: Nehmt sie mit beiden Händen. Moderne hin oder her, die Visitenkarte steht für die Person, und man sollte ihr entsprechenden Respekt erweisen. Sie wird mit beiden Händen übergeben und mit beiden in Empfang genommen.

Die Person, mit der man geschäftlich zu tun hat, steht grundsätzlich viel mehr im Vordergrund, als es in Europa der Fall ist. Wir machen ja normalerweise Verträge mit Firmen, und ob wir die mit dem einen oder dem anderen verhandeln, ist uns eigentlich gleichgültig. In China dagegen ist es entscheidend, dass Sie zu dieser Person ein gutes Verhältnis entwickeln, das sich auch weit in den privaten Bereich hinein erstrecken kann. Deswegen fragen Chinesen auch viel mehr nach privaten Dingen, wollen wissen, ob Sie verheiratet sind und Kinder haben. Dem persönlichen Kennenlernen wird viel Zeit gewidmet. Es kann passieren, dass Sie zu Geschäftsgesprächen nach China reisen und erst einmal drei Tage lang überhaupt nicht über Business reden, sondern essen gehen, die Stadt gezeigt bekommen, sich über Gott und die Welt unterhalten – nur nicht über das, weshalb Sie eigentlich gekommen sind. Aber auch da gibt es neuerdings Ausnahmen. Für junge, private Unternehmen ist Zeit auch Geld, und sie wollen rasch zum Ziel kommen. Trotzdem: In der Regel dauert es lange, bis die Geschäfte laufen. Wenn es dann so weit ist, geht allerdings alles sehr schnell.

Auch wenn man schon lange im Land lebt: Man bleibt in China immer Ausländer. Das muss kein Nachteil sein. Deutsche genießen in China einen sehr guten Ruf. Sie gelten als pflichtbewusst, fleißig, pünktlich, zuverlässig – der ganze Katalog der angeblichen deutschen Tugenden wird Ihnen zugeschrieben. Ich habe aber auch Ex-Pats erlebt, die unglaublich frustriert zurückkamen. Die hatten gravierende Fehler im Umgang mit Chinesen begangen, sie etwa offen kritisiert, sehr direkt auf Fehler oder Inkompetenzen hingewiesen – und wurden danach von allen Informationswegen abgeschnitten. Sie waren Fremdkörper im eigenen Unternehmen. Die Kommunikation in China ist für uns vermutlich das Schwierigste. Chinesen nennen die Probleme nicht beim Namen, sie umschreiben sie oder deuten sie an. Den Einheimischen ist trotzdem klar, worum es geht. Als Europäer muss man lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Das habe ich schon als Student begreifen müssen.

Ich wohnte im Studentenwohnheim in einem Doppelzimmer, wollte aber lieber ein Einzelzimmer. Ich hatte gesehen, dass es etliche gab, die nicht belegt waren, und war bereit, den entsprechend höheren Preis zu zahlen. Also ging ich zu dem zuständigen Beamten, doch der wies mich ab. Es sei kein Zimmer mehr frei. Ich insistierte, typisch deutsch: Das stimme nicht, die Zimmer 311, 704 und so weiter seien alle noch frei. Ich hatte mir die Nummern aufgeschrieben. Da lächelte er und sagte, dass sie nächste Woche belegt würden. Mir war klar, dass er log. Also sagte ich: Okay, wenn sie nächste Woche alle belegt sind, habe ich Pech gehabt, aber wenn nicht, dann will ich eins haben. Er nickte.

Nach einer Woche waren die Räume immer noch frei, ich ging also wieder zu dem Mann und verlangte mein Einzelzimmer. Wieder sagte er, das würde nicht gehen. Warum? Sie würden noch gebraucht. Ich sagte ihm ins Gesicht, dass er mich belügt und dass es eine Frechheit sei, wie er mich behandle. Alle zwei Tage stand ich fortan vor seiner Tür und verlangte mein Zimmer – ohne Erfolg.

Eines Tages kommt der Beamte zu mir und sagt, er hätte zwei Freunde, die würden gern etwas über Deutschland lernen: Ob ich mich nicht mit ihnen unterhalten könne? Sie würden mich auch zum Essen einladen, zu einem tollen Bankett. Ich war zwar sauer, aber auch Student – und ein gutes Essen schien verlockend. Ich sagte zu. Wir fuhren zur Eröffnungsfeier einer Firma, es waren sehr viele Leute da, sogar das Fernsehen. Ich saß neben einigen anderen Europäern in der ersten Reihe, es gab diverse Reden, danach das Büfett. Kein Mensch wollte irgendetwas über Deutschland von mir wissen. Angesichts der vielen Kameras dämmerte es mir irgendwann: Die brauchten einfach ein paar Leute wie mich, um zu dokumentieren, dass diese Firma so wichtig war, dass sogar Ausländer kamen. Am nächsten Morgen wurde ich belohnt. Mein Einzelzimmer war frei.“

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Harald Geiger, 35, baut die Entwicklungsabteilung des Hilti-Konzerns auf und lebt seit gut zweieinhalb Jahren in Schanghai.

„Der wirkliche Kulturschock trifft einen nicht direkt. Am Anfang ist alles neu und aufregend, danach gibt es eine Phase, in der man meint, die Unterschiede seien ja eigentlich doch nicht so groß. Und dann passiert es: Man hat das Gefühl, ständig gegen Wände zu laufen und in Fettnäpfe zu treten, man stolpert von einem Missverständnis ins nächste.

Es ist schrecklich, gerade weil man als Expatriate ja auch Leistung bringen will und muss. Das erwarten die Partner in China und der Arbeitgeber daheim, und man stellt verzweifelt fest, dass selbst die simpelsten Kleinigkeiten nicht glücken wollen. Natürlich gibt es auch jene Frohnaturen, die ganz anders empfinden und prima mit den Chinesen auskommen – und in Wahrheit ein Feld der Verwüstung hinterlassen.

Ich stolpere immer noch, habe aber für mich einen Weg gefunden, mit dem Fremden umzugehen. Ich versuche es mit Humor. Inzwischen habe ich mir sogar eine eigene Website eingerichtet (www.visitchina.de), auf der ich meine persönlichen Erlebnisse in diesem noch immer fremden Land darstelle – es hilft mir selbst, aber vielleicht auch dem ein oder anderen Leser zu Hause.

Du bist in China angekommen, wenn die folgenden Aussagen auf dich zutreffen:

_Du benötigst nicht länger Taschentücher, um dich zu schnäuzen.
_Du isst Nudelsuppe zum Frühstück.
_Du kannst in Tiefschlaf verfallen, ganz egal, wo du gerade bist.
_Du hast absolut kein Gefühl für Verkehrsregeln.
_Du gehst in den Zoo und denkst: ‚So leckere Tiere hier‘, und fragst: ‚Was kostet der Affe?‘
_Du glaubst alles, was in regionalen Zeitungen steht.
_Du findest es spannend, in einen Lift zu steigen, bevor jemand aussteigen kann.
_Du beginnst, große Limousinen mit deinem Fahrrad zu schneiden.
_Du lässt dir einen langen Fingernagel wachsen, um zu zeigen, dass du nicht mehr körperlich arbeiten musst.
_Du wunderst dich darüber, dass deine Freunde zu Hause nicht jede Woche zehn DVDs kaufen.
_Du kaufst dir eine Sonnenbrille – und lässt die Qualitäts- und Markenaufkleber auf dem Glas, weil du denkst, es gehört sich so.
_Du hast vergessen, was es bedeutet, irgendwo allein zu sein.
_Du findest es schick, dein Handy an einem bunten Band um den Hals zu tragen und mit blinkenden oder klingelnden Anhängern zu schmücken.
_Du stehst immer und überall im Weg herum.
_Du hast das unstillbare Verlangen, Menschen mit kleinen Fahnen zu folgen.
_Du wunderst dich nicht mehr, wenn drei Männer mit einer Leiter erscheinen, um eine Glühbirne zu wechseln.
_Du gehst zum Sonntagnachmittagschlaf in die Sofa-Abteilung von Ikea.
_Du sprichst beim Telefonieren so laut wie möglich, damit auch wirklich jeder versteht, was du zu sagen hast.
_Du wunderst dich: Luftverschmutzung? Welche Luftverschmutzung?

Und: Du kannst über die Beobachtungen schmunzeln und dich darüber freuen, dass du in einem ganz wunderbaren Land lebst.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.