Baustoff Holz

Holz gilt als klimaschonender Baustoff schlechthin. Während seine Verwendung gerade massiv gefördert wird, sind Zement, Stahl und Glas in Verruf geraten. Zu Recht?





• Gleich hinter dem Betongerippe, das einmal René Benkos Elbtower werden sollte, können die Hamburger einem Superlativ beim Wachsen zusehen. Noch werkeln Arbeiter an dem 65 Meter hohen Bau, aber wenn sie abziehen, ist Roots das größte Wohn- und Geschäftshaus, das hierzulande je aus Holz konstruiert wurde. Wände und Decken in den Obergeschossen wurden aus insgesamt 5.500 Kubikmetern Nadelholz gezimmert, einem Baustoff, der derzeit hoch im Kurs steht. Dessen Anteil an den Wohn-Neubauten will die Bundesregierung mit ihrer Holzbau-Initiative von aktuell 20 auf 30 Prozent steigern. Tausend Kilometer weiter nördlich denkt man in die Breite und plant mit der Stockholm Wood City einen Stadtteil mit 2.000 Wohnungen und 7.000 Büros aus dem Stoff, aus dem die Bäume sind. Holz hat Hochkonjunktur, aus gutem Grund.

Aktuell sind Häuser von ihrem Bau bis zum Abriss für schätzungsweise 40 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich – ein Umweltproblem, das sich mit Holz deutlich lindern ließe. Denn während bei der Herstellung des Allroundwerkstoffs Zement rund 600 Kilogramm Kohlendioxid pro Tonne in die Luft geblasen werden, entziehen Bäume der Atmosphäre das Klimagift. Werden sie gefällt und in Form von Balken, Latten oder Sparren verbaut, speichern sie das CO2, solange die Immobilie steht.

Gebäude wie das Roots könnten als Klimabanken dienen, die Kohlendioxid so lange bewahren, bis sie eines fernen Tages abgerissen werden und das Holz verrottet oder verbrannt wird. Hans Joachim Schellnhuber, Deutschlands wohl prominentester Klimaforscher, hat daher eine Initiative namens Bauhaus der Erde gegründet, die massiv für Holz wirbt. Einer Studie der Universität Yale und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zufolge, die das Magazin »Green« zitiert, sänken die globalen Kohlenstoffemissionen um mindestens 31 Prozent, würden 90 Prozent der Neubauten weltweit aus dem Material gezimmert.

Ein natürlicher Baustoff, der vor der Haustür wächst und dem Klima nützt: Was soll daran falsch sein?

Auf der Suche nach Antworten läuft Thomas Auer an einem sonnigen Mittwochmorgen an drei riesigen stählernen Salatschüsseln vorbei. Der Verfahrenstechniker mit feinem Humor und großem Faible für den VfB Stuttgart ist Professor für Klimagerechtes Bauen an der Technischen Universität München und auf dem Weg zu drei Apartmenthäusern, die hier im oberbayrischen Bad Aibling neben einer ehemaligen Abhöranlage des amerikanischen Geheimdienstes NSA errichtet wurden. Gebaut hat sie vor sechs Jahren der Münchner Architekt Florian Nagler, die Idee stammt aus einem Forschungsprojekt, an dem Auers Lehrstuhl beteiligt war.

Heute rosten vor den Eingängen der Häuser Grills und Kinderfahrräder, die Gebäude selbst erinnern mit ihren massigen Mauern und Rundbogenfenstern an eine mittelalterliche Klosteranlage. Aus einigen der Wohnungen schleppen Auers Studenten an diesem Tag gerade Messapparaturen, mit denen sie in den vergangenen Jahren Raumtemperatur, Luftfeuchtigkeit und andere Werte kontrolliert haben. Denn das Drillings-Ensemble dient nicht nur dem Wohnen. Es soll auch Antworten auf eine Frage liefern, die sich Auer und sein Münchner Architektenkollege Florian Nagler in den vergangenen Jahren immer wieder gestellt haben: Wie können wir einfacher, billiger und zugleich klimaschonender bauen?

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