„Es ist unrealistisch zu glauben, man bekomme Versorgungssicherheit ohne Menschenrechte und ökologischen Fortschritt“

Ein Gespräch mit der Politologin Melanie Müller über den weltweiten Kampf um Rohstoffe – und die Chancen, die sich daraus sowohl für Europa als auch für ressourcenreiche Länder ergeben.



Melanie Müller, Afrika- und Rohstoffexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik


brand eins: Frau Müller, wie kamen Sie als Politologin zum Thema Rohstoffe?

Melanie Müller: Die Verbindung von Ökologie und globaler Gerechtigkeit hat mich schon immer interessiert. Und als ich meine Doktorarbeit über die südafrikanische Umweltbewegung schrieb, führte mich das fast automatisch zum dortigen Kohlebergbau. Seither habe ich viel Zeit in südafrikanischen Gemeinden verbracht, die negativ vom Bergbau betroffen sind, ich habe auch den Abbau von Gold und anderen Rohstoffen in Ghana, Zimbabwe, Chile oder Peru kennengelernt.

Bei den Forschungsprojekten, die ich an unserem Institut leite, schauen wir aber nicht nur auf den Abbau, sondern immer auf die gesamte Lieferkette. Deshalb spreche ich auch mit Vertretern von Unternehmen weltweit oder schaue mir zum Beispiel in der Schweiz die Weiterverarbeitung von Gold an.

Deutschland und Europa sind abhängig von Rohstoffen aus anderen Weltgegenden. Ist das ein Problem?

Abhängigkeit ist nicht per se schlecht, die Weltwirtschaft lebt von Handelsbeziehungen. Im Rohstoffsektor hat die EU jetzt allerdings definiert, dass nicht mehr als 65 Prozent eines Rohstoffs aus einem einzigen Land kommen sollten – tatsächlich sind wir in der Realität bei manchen wichtigen Metallen bei 80, 90, 95 Prozent.

Das Problem ist nicht so sehr die Abhängigkeit von einzelnen rohstoffreichen Ländern, sondern die starke und weiter wachsende Stellung Chinas. Der Ausfall von Lieferungen von dort – ob wegen einer neuen Pandemie oder aus politischen Gründen – hätte möglicherweise ähnlich gravierende Folgen für die deutsche und europäische Wirtschaft wie der Stopp der Gaslieferungen aus Russland.

Welche Folgen wären das konkret?

Ohne metallische Rohstoffe gibt es weder Solarpaneele noch Windräder und Batterien für Autos, das heißt: keine Energie- und keine Mobilitätswende, keine Digitalisierung und auch keine erhöhte Rüstungsproduktion. Ohne Rohstoffe funktioniert so gut wie nichts, der Kern der deutschen Industrie hängt an der Lieferung von Metallen.

Schon der Ausfall eines einzigen Rohstoffs kann die Produktion eines komplexen Guts aufhalten: Als China beispielsweise vor ein paar Jahren seine Aluminiumexporte einschränkte, traf das die deutsche und europäische Industrie. In Deutschland vor allem die Automobil-, Verpackungs- und Baubranche.

Wie konnte es zu dieser starken Abhängigkeit von China kommen?

Sie ist weniger darin begründet, dass bestimmte Metalle nur dort vorkommen. Das Problem ist vielmehr, dass das Land seine Position innerhalb der Lieferketten in den vergangenen Jahrzehnten strategisch ausgebaut hat: Chinesische Firmen investierten massiv in Afrika oder Südamerika in den Bergbau. Zusätzlich gab und gibt die chinesische Regierung unter dem Schlagwort „Neue Seidenstraße“ sehr viel Geld für den Bau von Transportinfrastruktur wie Häfen aus, sodass die Rohstoffe aus den Abbauländern nach China gebracht und dort in Schmelzen und Raffinerien weiterverarbeitet werden können, bevor sie auf den Weltmarkt kommen. China hat sozusagen die Wertschöpfung ins eigene Land umgeleitet und sich so eine enorme Marktmacht bei vielen kritischen Rohstoffen gesichert.

Warum hat Europa dem tatenlos zugesehen?

Es war ja in unserem Interesse: Die Leistungen dieser chinesischen Schmelzen und Raffinerien sind billig, unsere Auto-, Maschinenbau- und andere Industrien profitieren davon. Es gab lange Zeit so gut wie keine Diskussionen über die teilweise schlimmen Arbeitsbedingungen bis hin zur Zwangsarbeit oder über das Risiko großer Abhängigkeiten. Das ändert sich gerade. Die Sorge ist groß, dass China Rohstoffe als geopolitisches Druckmittel einsetzen könnte.

Die deutsche und europäische Strategie heißt jetzt: diversifizieren, direkte Partnerschaften mit den Abbauländern eingehen, den Umweg über China vermeiden. Aber wo stehen dann in Zukunft die Schmelzen und Raffinerien?

Das ist die entscheidende Frage. Die Abbauländer wollen nicht länger nur Lieferanten sein, sondern ein größeres Stück vom Kuchen abhaben. Sie erwarten, dass wir in ihre Infrastrukturen und Industrien investieren, zum Beispiel in diese Schmelzen und Raffinerien und in die weitere Lieferkette, damit sie mehr eigene Wertschöpfung betreiben können.

Ist das Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins rohstoffreicher Länder?

Auf jeden Fall. Ich glaube, wir müssen wegkommen von manchen Stereotypen, insbesondere über Afrika. Und eines davon ist, dass diese Staaten stets Opfer seien und über den Tisch gezogen würden. Viele afrikanische Länder wachsen immer mehr in die Rolle gestaltender Akteure hinein und versuchen jetzt legitimerweise, die für sie besten Deals zu machen. Namibia, Ghana, die Demokratische Republik Kongo und Zimbabwe zum Beispiel haben Exportverbote für unverarbeitete Rohstoffe erlassen, um selbst stärker von ihren Vorkommen zu profitieren. Die Frage ist, ob solche Arrangements dann auch der lokalen Bevölkerung zugute kommen.

Es gibt den Einwand, zum Aufbau eigener wertschöpfender Industrien seien viele Länder nicht in der Lage.

Pauschal lässt sich das nicht behaupten. Viele afrikanische Staaten entwickeln gerade ihre eigenen Rohstoffstrategien, auch die Afrikanische Union hat eine für den gesamten Kontinent vorgelegt mit dem Ziel, regionale Wertschöpfungsketten auf- und auszubauen. Man diskutiert über eine afrikanische Freihandelszone, und die Afrikanische Entwicklungsbank ist sehr aktiv bei diesem Thema.

In Zimbabwe hat China jetzt angeboten, Industriekomplexe aufzubauen, in denen dort abgebaute Rohstoffe geschmolzen werden, um dann vor Ort Komponenten für die Solarindustrie zu produzieren. Sambia und die Demokratische Republik Kongo mit ihren enormen Vorkommen an Kupfer und Kobalt wollen ein Batterie-Cluster für die Automobilindustrie aufbauen. Südafrika hat angekündigt, eine eigene Infrastruktur für Elektroautos zu entwickeln, sodass dort perspektivisch ein Markt für solche Fahrzeuge entstehen kann. Ob das funktionieren wird, muss man abwarten, aber auf jeden Fall ist eine große Dynamik zu beobachten, und die Frage ist, welche externen Akteure – China, USA, Europa – in welchem Ausmaß mitspielen werden.

Was können Europa und Deutschland in diesem globalen Wettstreit um Rohstoffe in die Waagschale werfen?

Sie müssen den Ländern gute Angebote machen. Das Problem ist leider, dass die Wettbewerber viel höhere Summen investieren und Europa auch nicht der schnellste Akteur ist. Dennoch haben wir etwas zu bieten. Mein Eindruck ist, dass es etwa in Afrika ein großes Interesse an Umwelttechnik gibt, von Filteranlagen bis zu energieeffizienten Schmelzen. Und das deutsche Modell der dualen Ausbildung ist für rohstoffreiche Staaten mit zum Teil hoher Jugendarbeitslosigkeit sehr attraktiv.

Ich glaube, dass Europa und Deutschland vor allem dann erfolgreich sein können, wenn sie Paketlösungen anbieten – also Technik und Ausbildung, aber auch langfristige Abnahmeverträge, die zum Beispiel über staatliche Exportkredit-Garantien abgesichert werden. Regierungen können viel tun, aber am Ende geht es um Beziehungen zwischen Firmen. Und wenn eine deutsche Firma ihre Vorprodukte weiterhin aus China bezieht, weil die Preise dort niedriger und die Prozesse eingespielt sind, kann der Staat sie nicht zwingen, ihre Lieferketten zu diversifizieren.

Wenn deutsche Firmen sich so in Afrika engagieren, wie Sie empfehlen – wäre damit nicht weniger Wertschöpfung hierzulande verbunden?

Nicht zwingend, ich sehe Vorteile für beide Seiten: Wir Europäer wollen weniger Abhängigkeit von China, und die rohstoffreichen Länder im globalen Süden wollen mehr eigene Wertschöpfung. Irgendwo dazwischen trifft man sich in einem Aushandlungsprozess, der sich für beide Seiten ökonomisch lohnt – wenn wir das richtig anstellen. Wir müssen nichts abgeben, denn die Schmelzen, Hütten und Raffinerien stehen heute schließlich nicht in Deutschland, sondern in China. Und wenn diese Produktionsstätten nun vermehrt in afrikanischen Ländern entstehen und durch weitere Produktionskapazitäten neue Wertschöpfung ermöglichen, können daran ja auch deutsche und europäische Firmen beteiligt sein. In einer globalisierten Ökonomie gibt es immer eine Arbeitsteilung.

Der Arbeitskreis Rohstoffe, ein Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, kritisiert, die neuen Partnerschaften mit Abbauländern dienten vor allem der eigenen Versorgungssicherheit nach dem Motto „Europe first“, nur am Rande ginge es um Ökologie und Menschenrechte. Teilen Sie die Kritik?

Rohstoffabbau ist unbestreitbar ein massiver Eingriff in die Natur, das macht ihn zu einem Risikosektor mit Blick auf Nachhaltigkeit und Menschenrechte. Es entstehen saure Grubenwässer und andere Abfälle, es gibt Lärm und Luftverschmutzung, häufig auch Konkurrenz mit landwirtschaftlicher und anderer Nutzung; und meist leiden gerade arme Menschen darunter. Insofern ist Rohstoffabbau nicht nachhaltig.

Aber er kann nachhaltiger organisiert werden durch technische Vorkehrungen, Ausbildung, spätere Renaturierung und andere Maßnahmen. Und im Unterschied zum Abbau von Kohle, Uran oder zur Ölförderung haben wir es bei den derzeit hochbegehrten Metallen mit Rohstoffen zu tun, die man recyceln und wiederverwerten kann, auch wenn wir noch längst keine zufriedenstellenden Quoten erreichen. Deswegen würde ich insgesamt sagen: Rohstoffabbau ist ein notwendiges Übel, das wir Schritt für Schritt kleiner machen müssen – und können.

Spricht der geopolitische Wettstreit, wie Sie ihn beschreiben, nicht dafür, dass der Rohstoffabbau eher zu größeren Lasten für Mensch und Natur führen wird? Denn je stärker die Käufer unter Druck sind, überhaupt etwas zu akzeptablen Preisen zu bekommen, umso größer könnte ihre Ignoranz gegenüber ökologisch und sozial verheerendem Raubbau sein.

Das Risiko besteht in jedem Fall. Aber ich sehe den Zusammenhang genau umgekehrt: Es ist unrealistisch zu glauben, man bekomme Versorgungssicherheit ohne Menschenrechte und ökologischen Fortschritt. Wir werden die Rohstoffe schlicht nicht bekommen, ohne gute Angebote zu machen.

Es ist ja nicht so, dass wir Europäer die Einzigen sind, die Nachhaltigkeitsstandards entwickeln. Auch andere Staaten bringen solche bei ihren Angeboten ins Spiel. Dazu gehören die USA, und auch China weigert sich im Ausland nicht, solche Standards zu akzeptieren. In den Abbauländern werden sie auch zum Teil hart eingefordert – von Regierungen, Umweltschutzorganisationen, Gewerkschaften und Gemeinden, die für ihre Anliegen oft massiv protestieren.

Und internationale Firmen haben teilweise Standards, die über das hinausgehen, was gesetzlich verankert ist, weil sie sonst ihr Investment und ihre Reputation bedroht sehen.

Sie zeichnen ein sehr positives Bild.

Ich zeichne eher ein realistisches Bild. Wenn die Energie- und die Mobilitätswende sowie die Versorgung insgesamt sichergestellt werden sollen, werden wir mit sehr unterschiedlichen Ländern weltweit kooperieren müssen. Aber wir müssen wegkommen von diesen pauschalisierenden Diskussionen und Katastrophenszenarien und genau analysieren, wo die Probleme im Rohstoffsektor liegen.

Ist es fehlender Wille der Regierungen? Findet der Abbau in einem autoritären Umfeld statt? Ist die Regierung vorrangig an Profiten interessiert? Oder gelingt die Umsetzung von Standards noch nicht gut genug? Das sind sehr unterschiedliche Dinge. Südafrika zum Beispiel hat relativ hohe Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards. Schon seit den Neunzigerjahren ist in der Verfassung das Recht auf eine gesunde Umwelt verankert – auf UN-Ebene gibt es das erst seit Kurzem.

Ein zentrales Problem ist die schlechte Umsetzung dieser Vorgaben. Das hat in der Vergangenheit zu Menschenrechtsverletzungen geführt. Aber hier können Deutschland und die EU einiges tun, um Südafrika dabei zu unterstützen, besser zu werden. Wenn man also insgesamt genauer hinschaut und analysiert, wie man den Rohstoffabbau besser gestalten kann, würde das nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen, sondern wäre auch attraktiv für deutsche und europäische Unternehmen. Ich sehe da ein Window of Opportunity, diese Zeit sollten wir nutzen, solange es noch offen steht. ---


CO2-Schleuder: Bei der Förderung von Erdöl kommt als Nebenprodukt auch Gas zutage, das (wie hier in Nigeria) oft einfach abgefackelt wird, Foto: © Robin Hinsch