Editorial

Der direkte Weg

• Ich mag Menschen. Und tausche mich gern und engagiert mit ihnen aus. Aber ich bin auf keiner sozialen Plattform.

Das geht eigentlich gar nicht, wenn man Chefredakteurin eines Magazins ist. Aber nach einem ersten Testballon 2003 auf Open BC (so hieß Xing früher) habe ich festgestellt, dass mir für diesen Kommunikationskanal die Zeit fehlte und die Dickfelligkeit: Auf Freundschaftsanfragen Nein zu sagen brachte ich nur schwer über mich. Heute weiß ich, dass meine damalige Entscheidung ein Segen war.

Fotografie: André Hemstedt & Tine Reimer


Der Stil der Auseinandersetzung, den die sogenannten sozialen Medien befeuert haben, ist nichts für meine Nerven – und leider auch nicht, wie erhofft, gut für die Demokratie. All die Geschichts- und Geschichten-Klitterung, die es immer schon gab, sind heute zu einem Massenphänomen geworden. Was noch wahr ist und was Fälschung, war schon bei der Abwahl von Donald Trump vor drei Jahren nicht mehr klar.

Inzwischen ist nun auch noch künstliche Intelligenz dazugekommen (eine Wortschöpfung, die in diesem Zusammenhang mehr als ironisch ist), und nun können wir selbst das nicht mehr glauben, was wahrhaftig erscheint. Ist das niedliche Katzenvideo real oder fake? Haben die Bauern wirklich Robert Habeck bedrängt? Sind die Filmaufnahmen des größten Hamas-Tunnels im Gaza wahr?

Wie gefährlich das werden kann, haben gerade die Schweden erlebt: Über Monate wütete online eine Desinformationskampagne gegen den Staat, der – wie Videos vermeintlich bewiesen – islamischen Eltern ihre Kinder weggenommen haben soll. Gegen solche Unterstellungen anzugehen ist mindestens so schwer, wie private Verleumdungen aus dem Netz zu tilgen oder die Propaganda radikaler Parteien zu widerlegen.

Thomas Laschyk, Gründer des Blogs Volksverpetzer, hat Letzteres jahrelang versucht, mit Argumenten und überschaubarem Erfolg. Seit er die Methoden der Fake-Verbreiter übernommen hat, gewinnt er an Reichweite, selbst bei denen, die er bekämpft. Der Hafermilchproduzent Oatly geht einen anderen Weg: Er sammelt die Vor- und Anwürfe der kritischen Community auf einer Website und versucht, sie mit Fakten zu widerlegen.

„Verständigung ist ein konflikthafter Prozess“, sagt der Erziehungswissenschaftler Markus Rieger-Ladich, der nichts davon hält, Personen wegen einer missliebigen Position aus dem Adressbuch oder der Geschichte zu streichen. Doch unsere Streitkultur hat gelitten, seit jeder alles in den sozialen Medien ablassen kann. Was wahr ist und was nicht, wird immer mehr zur Ansichtssache, nicht zuletzt, weil mit KI die Zahl der Fakes im Internet zunimmt.

Daher müssen wir Kommunikation und Recherche neu lernen. Was dabei hilft: gesunder Menschenverstand und der direkte Weg. ---

Gabriele Fischer, Chefredakteurin