Editorial

Genug ist genug

• Es war zunächst nur eine Beobachtung. Immer mehr junge Gründerinnen und Gründer wollen nicht mehr nur schnell reich werden, sondern mit ihren Start-ups die Welt verbessern. Risikokapitalgeber wollen zwar weiterhin ihren Einsatz vervielfachen, das aber mit Investments in Firmen mit klimaschonendem oder gar rettendem Konzept. Unternehmer im Rentenalter ohne Nachfolger suchen nicht mehr den potentesten Käufer, sondern denken über Verantwortungseigentum * nach.

Foto: André Hemstedt & Tine Reimer


Gleichzeitig war zu verfolgen, wie sich durch geopolitische Verwerfungen, Energieknappheit und Inflation die Regeln im großen Spiel veränderten. Die Pleite der amerikanischen Silicon Valley Bank beschwor die Erinnerung an die Weltfinanzkrise von 2007/08 herauf, der Niedergang der Credit Suisse offenbarte, wie schmutzig die Geschäfte dieser einst angesehenen Bank waren. Das Geld saß nicht mehr so locker, die einst mit Millionen angefütterten Start-ups, die oft nur Fantasie verkauft hatten, sollten plötzlich Gewinne ausweisen. Es schien etwas gewaltig durcheinanderzugeraten in der Wirtschaftswelt, wie sie im 21. Jahrhundert gewachsen war.

Wenn aber Grundfesten erschüttert werden, ist es sinnvoll, über Alternativen nachzudenken. Kann Wirtschaft auch funktionieren, wenn nicht das Geld der wichtigste Treiber ist? Muss es immer höher, schneller, weiter gehen – geht es nicht auch besser? Haben wir bei der Jagd nach Erfolg und Umsatzrekorden vergessen, wozu Unternehmen eigentlich da sind, nämlich Güter zu erschaffen, „die für die Allgemeinheit wichtig sind“?

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Das sagt Edzard Reuter, 95, Ende der Achtzigerjahre Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG. Zu jener Zeit zog der Shareholder Value auch in deutsche Unternehmen ein und mit ihm als wichtigstes Firmenziel die schnelle Rendite für die Kapitalgeber. Reuter nennt das „eine völlige Fehlinterpretation von Marktwirtschaft“, den Anfang einer fatalen Entwicklung. Aber ist sie umkehrbar?

Zumindest stößt sie auf immer mehr Kritik. Und wer ein wenig neben die Niedergangs-Schlagzeilen schaut, findet Beispiele, was Wirtschaft neben Kapitalakkumulation noch vermag. Eine amerikanische Großbäckerei gibt Menschen mit Vorstrafen eine Chance, ein Tübinger Bauprojekt verbindet ansprechende Architektur mit Wohnangeboten für Geflüchtete, zwei ganz normale Unternehmen zeigen, wie leicht es ist, ökonomisch zu handeln und damit Wunder zu bewirken.

Das ist kluge Wirtschaft. Nämlich eine, die Probleme löst – und von solchen Firmen können wir nicht genug bekommen. Wir brauchen Lösungen für Wassernot, Klimaerwärmung, Ressourcenvergeudung. Wir müssen lernen, Natur nicht als Gebrauchsgut zu sehen, sondern als Wert. Und wir müssen eine Arbeitswelt schaffen, die kluge junge Menschen anlockt, nicht abstößt.

Es ist nur eine Beobachtung, dass immer mehr Menschen an dieser neuen Wirtschaft arbeiten, noch keine Bewegung. Aber wir können eine daraus machen. ---