Von wegen Lähmschicht

Das mittlere Management galt lange als überflüssig. Eine Fehleinschätzung?





• Sie sind sozusagen die Working Class Heroes unter den Führungskräften und hatten über Jahrzehnte einen schlechten Ruf. Mittlere Manager galten – spätestens seit allerorten flache Hierarchien ausgerufen wurden – bei Unternehmensberatern und Topmanagern als eine bürokratische Altlast.

Die »Harvard Business Review« prophezeite 2011 „das Ende des Mittelmanagements“. Das »Manager Magazin« mokierte sich 2015 über das „Elend in der Sandwichposition“, für das die mittelmäßigen Mittelmanager selbst verantwortlich seien. Und bereits vor drei Jahrzehnten verkündete der Management-Guru Tom Peters, das Beste, was einem Mittelmanager passiere könne, sei die Kündigung.

Dazu passt das Klischee der zwischen der Unternehmensspitze und den Leuten, die die Arbeit machen, angesiedelten Lehm- beziehungsweise Lähm-Schicht. Dort ist man angeblich hauptsächlich damit beschäftigt, eisern Routinen zu verteidigen und jede Veränderung der Arbeitsorganisation abzublocken. Eine subtilere Form der Missachtung ist das Mitleid mit den bedauernswerten menschlichen Puffern zwischen oben und unten. Bestenfalls zappeln sie ohnmächtig im Alltagsgeschäft, schlimmstenfalls bekommen sie den Druck von oben und den Frust von unten ab.

So weit das Klischee. Und jetzt schalten wir um zur wesentlich interessanteren Realität.

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1. Neue Aufgaben

Über fehlende Arbeit können sich die Team- und Abteilungsleiterinnen oder Bereichsverantwortliche nicht beklagen. In den vergangenen Jahren sind ihre Aufgaben in vielen Unternehmen deutlich anspruchsvoller geworden. Zum Beispiel weil es im Alltagsbetrieb an ihnen hängen bleibt, die gewachsenen Ansprüche ihrer Leute irgendwie mit den Anforderungen des Unternehmens in Einklang zu bringen. Die Stichworte kann vermutlich jeder Personaler im Schlaf aufsagen: Generation X–Z, Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeiten, Purpose.

Wegen des Fachkräftemangels können gefragte Leute selbstbewusst auftreten. Ihr Wunsch nach arbeitnehmerfreundlichen Arbeitszeiten und -orten landet beim Mittelmanagement. Und wenn in der Abteilung mal wieder jeder Zweite, aus welchen persönlichen Gründen auch immer, später kommen oder früher gehen will, bleibt die Verantwortung dafür, dass zum Beispiel Fristen und Abgabetermine eingehalten werden, an der Abteilungsleitung hängen.

Für eine weitere Herausforderung hat die Pandemie gesorgt. Seitdem ist es für die Führungskräfte deutlich anspruchsvoller geworden, den Kommunikationsfluss zu sichern und das weit verstreute Team zusammenzuhalten. Das bedeutet im Alltag vor allem: Mehrarbeit.

61 Prozent der befragten Führungskräfte beklagten 2022 in einer Studie der Personalberatung Kienbaum und des Bundesverbands der Personalmanager eine gestiegene Arbeitsbelastung durch ortsunabhängige Arbeit. Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC gaben 87 Prozent der befragten Führungskräfte an, dass sich ihre Tätigkeit in der Pandemie verändert hat.

In die gleiche Richtung gehen die Angaben von 300 Mittelmanagerinnen und -managern aus deutschen Unternehmen, die für eine groß angelegte Studie der Universität Erlangen-Nürnberg im Auftrag der Dr. Jürgen Meyer Stiftung und der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik befragt worden sind. Für sie zählen heute vor allem Personalführung und Informationsvermittlung zu ihren zentralen Aufgaben. In einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2018 waren es noch Fachaufgaben gewesen.

Die Ingenieurinnen, Betriebswirte und Software-Entwicklerinnen auf den mittleren Führungspositionen sind deutlich stärker als früher auch in der Arbeitsorganisation und im betrieblichen Miteinander gefragt. Sie müssten die „aufgrund der vermehrten virtuellen Arbeit erschwerte Führungs- und Kommunikationssituation“ auffangen, diagnostizieren Milena Störmer und Professor Matthias Fifka von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die Autoren der Studie.

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