Ehegattensplitting

Das Ehegattensplitting wurde in den Fünfzigerjahren eingeführt, um Frauen vom Erwerbsleben fernzuhalten. Heute propagieren fast alle Parteien das Gegenteil. Das Splitting aber bleibt.





• Am 24. August 2014 erschien in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« ein Interview, in der die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckard, Fehler im Wahlkampf 2013 einräumte. Es sei falsch gewesen, sagte sie, dass ihre Partei das Ehegattensplitting habe streichen wollen. Es „einfach abzuschaffen würde am Ende viele treffen, die Kinder haben“.

Das ist insofern erstaunlich, als die Abschaffung des Ehegattensplittings seit jeher zu den familienpolitischen Grundsätzen der Grünen gehört. Das nun als Fehler zu bezeichnen ist so, als fordere die CSU plötzlich die Gleichstellung der Homo-Ehe. Entsprechend groß war die Empörung, mit der etliche Parteifreunde mit Tweets auf das Bekenntnis ihrer Fraktionschefin reagierten.

Nach einem Blick in die Geschichte des Ehegattensplittings verwundert Göring-Eckards Gesinnungswandel weniger. Seit der Einführung vor 57 Jahren wird dieses zentrale Element des deutschen Steuerrechts von verschiedenen Seiten kritisiert. Es wird regelmäßig für überholt oder zumindest reformbedürftig erklärt – reformiert oder gar abgeschafft wurde es nie. So konnte sich 2012 die Juristin Maria Wersig in ihrer Dissertation einer Frage widmen, die bis heute aktuell ist: Warum hat eine Regelung, die in den Fünfzigerjahren mit der Begründung eingeführt wurde, die Rolle der Hausfrau zu stärken, nach Jahrzehnten des gesellschaftlichen Wandels und der Kritik unverändert Bestand?

Mit einer Kosten-Nutzen-Abwägung, das sei vorweggenommen, hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Der Fall zeigt beispielhaft, warum eine gesetzliche Regelung überlebt, obwohl sie ökonomischer Logik und gesellschaftlichen Entwicklungen widerspricht.

Der Effekt

Beim Ehegattensplitting wird das Einkommen der Partner gemeinsam versteuert: Es wird addiert – und anschließend halbiert. Dann wird die darauf entfallende Steuerlast berechnet und verdoppelt. So sichert die Regelung, dass die Steuerschuld eines Paares nicht davon abhängt, wer welchen Anteil zum Haushaltseinkommen beiträgt. Was unspektakulär klingt, hat große Auswirkungen und nützt vor allem Ehepaaren, deren Gehälter weit auseinanderliegen. Durch die fiktive Aufteilung ihres Einkommens wird die Progression für sie gemildert; außerdem werden ihnen zwei Grundfreibeträge angerechnet, auch wenn einer von beiden gar nicht erwerbstätig ist.

Bis zu 15 761 Euro Steuern kann ein Paar auf diese Weise im Jahr sparen. Partner, die gleich viel verdienen, und Alleinerziehende haben nichts von diesem familienpolitischen Fördermittel, Geringverdiener nur sehr wenig. Es ist eine Prämie vor allem für wohlhabende Ein-Verdiener-Ehen. Denn der Splittingvorteil ist umso höher, je größer das Haushaltseinkommen und je größer die Differenz zwischen den Einkommen der Eheleute ist. Mehr als 20 Milliarden Euro im Jahr lässt sich der Staat das Steuergeschenk kosten.

Glaubt man den Ökonomen, die zuletzt im Auftrag des Bundesfinanz- und des Bundesfamilienministeriums die Wirksamkeit deutscher Familienpolitik untersuchten, handelt es sich um schlecht investiertes Geld. Fünf Jahre lang haben Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), des Ifo Instituts und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die wichtigsten der 156 familienpolitischen Instrumente untersucht und anhand von empirischen Daten und Modellberechnungen analysiert, wie sich Kindergeld, Elterngeld, Kita-Ausbau, Ehegattensplitting und andere Leistungen auf solche zentralen Ziele wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Erfüllung von Kinderwünschen und die wirtschaftliche Stabilität von Familien auswirken. Im Sommer 2014 stellten sie das Ergebnis vor.

Am besten schnitt der Kita-Ausbau ab, das Elterngeld lobten die Forscher ebenfalls. Das Ehegattensplitting hingegen fiel durch. Nicht nur, dass es viele Familien mit Kindern nicht erreiche. Auch trage es nicht zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei, weil es für den Zweitverdiener – meist die Frau – einen Anreiz schaffe, weniger arbeiten zu gehen. „Das beeinträchtigt die wirtschaftliche Stabilität der Familien“, sagt Holger Bonin vom ZEW. Gäbe es das Ehegattensplitting nicht, würden deutlich mehr Mütter arbeiten. Insgesamt wären die Frauen materiell besser abgesichert, zudem stünden durch die Abschaffung der jetzigen Regelung mehrere Milliarden Euro zur Verfügung für erfolgreichere familienpolitische Instrumente.

Klare Worte. Der Internationale Währungsfonds, die OECD und die EU-Kommission teilen die Kritik. Warum schafft die deutsche Politik das Ehegattensplitting dann nicht ab?

Die Parteien

„Abschaffen? Das geht nicht. Und das wollen wir auch nicht“, sagt Marcus Weinberg, der familienpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion. Man kann dem Mann nicht vorwerfen, das Familienideal der Fünfziger hochzuhalten. Er ist unverheiratet und Vater eines fünfjährigen Sohnes. Er hat persönlich nichts vom Ehegattensplitting, hält es aber für wichtig. „Allein schon, weil Ehepaare aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht schlechter gestellt werden dürfen als unverheiratete Paare.“

Eine Zusammenveranlagung ohne Splitting hätte das in der Tat zur Folge. Das addierte Einkommen des Ehepaars würde aufgrund der Progression eine überproportional hohe Steuerlast nach sich ziehen. Was aber spricht dagegen, alle Arbeitnehmer, ob verheiratet oder nicht, individuell zu versteuern, so wie es in den meisten OECD-Ländern üblich ist? „Wir verstehen die Ehe als Gemeinschaft, in der die Partner füreinander Verantwortung übernehmen. Das sollte der Staat unterstützen. Gleichzeitig sollte er den Ehepaaren die Entscheidung überlassen, wie sie Familienarbeit und Erwerbsarbeit untereinander aufteilen“, sagt Weinberg und ergänzt: „Familien, in denen ein Ehepartner zu Hause bleibt, um Kinder großzuziehen oder einen Angehörigen zu pflegen, dürfen nicht zusätzlich belastet werden.“

Die CDU ignoriert damit den Rat jener Experten, den sie selbst bestellt hat – unter der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen. Die SPD hingegen befürwortet seit Jahren die Abschaffung des Splittings. Zumindest stand das so in den Wahlprogrammen. Warum aber hat sie es nicht getan, als sie es konnte? Zwischen 1998 und 2005 wäre sie dazu in der Lage gewesen, als sie mit Gerhard Schröder den Kanzler stellte. Seit 2013 hat sie in Person von Manuela Schwesig die Hoheit über das Familienministerium. Warum dringt sie nicht auf eine Abschaffung des Ehegattensplittings?

„Weil es ein sehr schwieriges und unpopuläres Thema ist“, antwortet Sönke Rix, der familienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er versucht gar nicht erst, dem Koalitionspartner CDU die Schuld zu geben, sondern sagt: „Es gibt in der Partei dafür zu wenig Feuer und Flamme.“ Klar, das Ehegattensplitting fördere das nicht mehr zeitgemäße Familienmodell mit dem Mann als Alleinernährer. „Aber das zu ändern ist nicht leicht. Man muss nicht nur eine Regelung finden, die den von der Verfassung vorgeschriebenen Schutz der Ehe berücksichtigt, sondern auch zusehen, dass man sich nicht in der Rolle des Bösen wiederfindet, der den Bürgern etwas wegnehmen will.“

So sieht das offenbar auch die Grünen-Politikerin Göring-Eckard. Noch einmal zum Ehegattensplitting äußern will sie sich nicht. Doch was die Bundestagsfraktion dazu bewegt, plötzlich ihren Frieden damit zu schließen, spürt man auch im Gespräch mit der Vizechefin Katja Dörner. Am Ehegattensplitting lässt sie zunächst kein gutes Haar, spricht von Trauscheinsubventionierung, schlechtem Deal für die Frauen und negativen Effekten für die Selbstbestimmung. Doch dann weist sie darauf hin, dass sich viele gerade ältere Paare mit dem Ehegattensplitting eingerichtet hätten und auch viele Familien mit jungen Kindern davon profitierten. „Das muss man berücksichtigen.“ In der Fraktion diskutiere man daher verschiedene Varianten, beispielsweise das Splitting abzuschmelzen, statt abrupt abzuschaffen.

So verschieden Weinberg, Rix und Dörfer auch argumentieren: Sie haben alle ihre Gründe für den Erhalt des Splittings. Juristin Wersig, Professorin an der FH Dortmund, überrascht das nicht. „Mit der Einführung des Splittings“, sagt sie, „wurde ein bestimmter Pfad eingeschlagen, der danach immer weiter verfestigt wurde. Davon herunterzukommen ist sehr schwierig.“

Die Reformhindernisse

Die Entscheidung für das Splitting im Jahr 1958 richtete sich explizit gegen die Erwerbstätigkeit von Ehefrauen. Das Bundesfinanzministerium favorisierte in der damaligen Debatte eigentlich die Zusammenveranlagung ohne Splitting. Es ist das Modell, das bereits im Preußen des 19. Jahrhunderts gegolten hatte. Steuern waren damals nach Haushalten erhoben worden, weil bei der noch vorherrschenden vorindustriellen Heimarbeit gar nicht zu unterscheiden war, welches Familienmitglied welchen Verdienst erwirtschaftete.

In der Weimarer Republik wurde das System reformiert: Dass Ehepaare mit zwei Einkommen durch die Progression eine höhere Steuerlast zu tragen hatten als zwei Alleinstehende mit gleichem Verdienst, wurde als ungerecht empfunden. Erst wurde daher das Einkommen, das die Ehefrau in einem außerhäusigen Betrieb erzielte, aus der Zusammenveranlagung herausgerechnet, später auch die Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit. Verheiratete zahlten somit genauso viel an Steuern wie Unverheiratete.

Die Nationalsozialisten machten das 1934 rückgängig, erhöhten zudem die Progression, um den steuerlichen Nachteil für Doppelverdiener-Paare noch zu verstärken und letztlich Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Die Haltung änderte sich, als im Krieg Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie fehlten. Um den Frauen den Einsatz schmackhaft zu machen, klammerte man 1941 ihre nicht selbstständige Arbeit wieder aus der Zusammenveranlagung mit dem Ehemann aus.

Diese Sonderregelung wollte das Finanzministerium in der jungen Bundesrepublik abschaffen. „Ein arbeitspolitischer Grund, den Arbeitseinsatz verheirateter Frauen zu begünstigen, besteht heute nicht mehr“, heißt es in einem internen Schreiben von 1953.

Das war jedoch alles andere als Konsens – auch innerhalb der Regierung unter Konrad Adenauer nicht. Im Arbeitsministerium wollte man angesichts von Vollbeschäftigung die Frauen vom Herd weglocken – und bevorzugte daher die getrennte Veranlagung. Da das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1957 urteilte, dass die Zusammenveranlagung in der bis dahin praktizierten Form gegen den grundgesetzlichen Schutz der Ehe verstoße. Verheiratete dürfen seitdem steuerlich nicht schlechter gestellt werden als Unverheiratete.

Es ist bemerkenswert, dass sich das Bundesfinanzministerium daraufhin für die Zusammenveranlagung mit Splitting statt für die individuelle Besteuerung von Eheleuten entschied. Letzteres hätte zu mehr Steuereinnahmen geführt. „Man wollte aber unbedingt Alleinverdiener-Ehen begünstigen“, sagt Maria Wersig. „Der Erwerbstätigkeit von Ehefrauen schrieb man eine ehe- und familienzerstörerische Wirkung zu.“

Die Zeiten haben sich geändert. Nahezu alle Parteien propagieren die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit die Erwerbstätigkeit von Frauen. Dass dies keine Folgen hat, führt Wersig auf verschiedene Gründe zurück.

Einer davon ist die Angst vor dem höchsten Gericht. Spielraum, das Splitting abzuschaffen und zugleich den gebotenen Schutz der Ehe zu gewähren, gebe es genug. Das sehen auch die Ökonomen von ZEW, DIW und Ifo Institut so. Und doch wird in Debatten immer wieder eine mögliche Veto-Entscheidung des Verfassungsgerichts ins Spiel gebracht. „Das“, so Wersig, „wirkt wie eine Keule gegen jedwede Reformbestrebung.“

Zudem hat das Splitting über die Jahrzehnte seine Wirkung entfaltet. Nur die Hälfte aller berufstätigen Frauen arbeitet Vollzeit. Kaum ein Land in Europa hat so viele nur marginal beschäftige Frauen wie Deutschland. 6,3 Millionen arbeiten in sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjobs, fast drei Millionen nur in Minijobs. „Das hat auch noch andere Ursachen“, sagt Wersig, „aber das Splitting ist eben Teil jener gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Eheleute mit großen Einkommensunterschieden begünstigt.“ Rund zwölf Millionen Paare werden durch das Splitting steuerlich begünstigt. „Da fragt sich die Politik natürlich, was sie gewinnt, wenn sie denen etwas wegnimmt.“

Inzwischen dürfen auch homosexuelle Ehepaare vom Splitting profitieren – laut Wersig sei das letztlich konsequent, zeige aber auch beispielhaft, wie sich ein gesetzlich einmal eingeschlagener Pfad immer weiter verfestigt.

Die Aussicht

Mit der Forderung nach Abschaffung des Splittings werde man auch in Zukunft keinen Erfolg haben, sagt die Professorin. Das Argument, Frauen würden dadurch von einem Vollzeitjob abgehalten, verfange nicht. „Das gilt als freie Entscheidung.“ Wenn überhaupt, so Wersig, werde die Regelung irgendwann einmal im Rahmen eines größeren Projektes gekippt. In Schweden etwa fiel das Ehegattensplitting schon in den Siebzigerjahren, als man die Gleichstellung von Mann und Frau ausrief und den gesamten Rechtsstaat daraufhin durchforstete. Anzeichen für ein solches Projekt sieht Wersig in Deutschland allerdings nicht.

Der CDU-Mann Weinberg werkelt gerade an Modellen, wie man das Ehegattensplitting so ausweiten kann, dass Familien mit Kindern noch stärker davon profitieren, während sein SPD-Kollege offen einräumt, dass das Thema gerade keine Priorität hat. ---